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Kunst im Pressehaus: Jens Lorenzen

Keine Frage: Eine Zeitung ist kein Kunstwerk. Oder doch? Der Braunschweiger Zeitungsverlag hat den einschlägig bekannten Berliner Künstler und Braunschweiger HBK-Absolventen Jens Lorenzen beauftragt, unser Blatt zu malen. Das Ergebnis hängt seit kurzem im Konferenzraum der Redaktion. Ein im Wortsinne vielschichtiges Werk.
 
Braunschweiger Zeitung
 
Die Zeit, die Zeitung und keine ...lösung
Der Berliner Künstler Jens Lorenzen schuf ein Bild für die Braunschweiger Zeitung - Material-Collage und realistische Malerei
 
Von Martin Jasper


Die Rolling Stones fragten einst rhetorisch, wer die Zeitung von gestern wolle. Und gaben zur Antwort: Niemand in der Welt! Dieser Niemand - um ein Wortspiel Lessings zu variieren - heißt Jens Lorenzen. Er ist natürlich in der Szene alles andere als unbekannt. 1961 in Schleswig geboren, absolvierte er zunächst eine Schreiner-Lehre, studierte von 1985 bis 1991 bei Hermann Albert an der Braunschweiger Kunsthochschule Malerei, lebt seitdem höchst erfolgreich als freier Künstler in Berlin.

Von Marken fasziniert

Lorenzen ist ein Marken-Freak. Logos, typische Schriftzüge, Plakate, Reklamebildchen faszinieren ihn. Von Jägermeister bis Dr. Oetker, von Persil bis Coca Cola - immer etwas nostalgisch angehaucht und leicht ramponiert. Auch Zeitungsköpfe. "Bild" hat er schon gemalt und die Frankfurter Allgemeine. Jetzt also unsere Zeitung. Nicht unbedingt von gestern. Aber auch nicht die von heute. Sondern: die Zeitung. Das flüchtige Alltagsprodukt, die rasch verderbliche Ware hat er aufgehoben - wenn nicht in die Ewigkeit, so doch in die Erhabenheit der Malerei.
Lorenzen hat verschiedene historische Gestaltungsweisen der ersten Seite imaginär zusammengeführt. Den roten Strich unter der Überschrift zum Beispiel gibt es schon lange nicht mehr. Der Hinweis auf "Ich stelle mich" rechts oben ist hingegen ein neues Element des Blattes. Das Bild, 180 mal 120 Zentimeter groß, hängt in dem Konferenzraum des Pressehauses, in dem die Redakteure täglich "Blatt machen", also die Themen der nächsten Ausgabe besprechen. Es ist alles andere als ein druckfrisches Exemplar, das
  Lorenzen sich vorgenommen hat. Das Papier scheint aufgeraut, die Schrift ist kaum noch lesbar, merkwürdige Flecken breiten sich auf der Seite aus. Doch Lorenzen veredelt die Spuren der Zeit zum poetischen Spiel, zur melancholischen Augenweide. Die Malerei scheint sich mitunter selbständig zu machen, zu mäandrieren. Es ist, als ob es unter dem gemalten Zeitungsblatt, das sich schrundig aufwirft und stellenweise wie eine grob verputzte Wand anmutet, noch farbige Tiefenschichten gäbe. Das Bild wird zum dreidimensionalen Objekt. Im Wortsinne vielschichtig. Auf die Leinwand sind Fetzen groben Sackleinens geklebt. Und unter der gemalten Zeitung schimmern Ausschnitte realer Zeitungen durch.

Schicksalsbau Schloss

So erscheint Lorenzen weniger als Abkömmling der Pop-Art, die ja die Warenwelt zum Fetisch der Moderne erhob und ironisch die endlose Vervielfältigung feierte. Sondern er nimmt sich in seiner virtuosen Mischung aus Collage und realistischer Malerei glatte, tausendfach kopierte Oberflächen, um sie brüchig zu machen, sinnlich neu erfahrbar.
Er macht malerische Landschaften daraus. Oder, wie bei der FAZ: poetische Landkarten. Der Effekt seiner Bilder resultiert aus der Spannung zwischen der raschen Wiedererkennung und der geheimnisvollen Verwitterung. Auch der Inhalt des Bildes ist vielschichtiger als auf den ersten Blick erkenntlich. Dominiert wird es vom Schicksalsbau der Braunschweiger, um den derzeit mal wieder heftig gestritten wird: dem Schloss. Damit betont der Künstler die zentrale Rolle der Zeitung als Forum, auf dem die Meinungen aufeinander treffen, auf dem Interessensgruppen zu Wort kommen, Positionen bezogen werden und konstruktiv gestritten wird.
  Zugleich reißt er eine historische Dimension auf, die auch die Verantwortung einer Zeitung in der Demokratie betont: Das Schloss, einst Sitz des Feudalherren, später missbraucht zur ideologischen Schulung der Nationalsozialisten, im Krieg von Bomben zerstört, 1961 nach heftigen Debatten abgerissen und nun im Begriff, als Vorbau eines Kaufhauses neu errichtet zu werden, steht für politische Umbrüche und für den Wandel des Zeitgeistes.
Zeitung machen heißt: wach sein, kritisch bleiben, für Toleranz werben. Es ist wohl kein Zufall, dass auf den Zeitungsausschnitten, die Lorenzen in sein Bild geklebt hat, einer vom Irak-Krieg handelt und einer in hebräischen Buchstaben verfasst ist.

Rat an Redakteure

An einer Ecke des Bildes schimmert der Lokalteil durch: Ebenso wie das Schloss-Bild ein Hinweis, wie wichtig hier die Nachrichten aus der unmittelbaren Umgebung genommen werden. Von der Überschrift ist nur noch wenig lesbar. Irgendetwas ist vor der "...lösung". -- Auflösung? Ablösung? Auslösung? Die Pointe: So genau man das Bild auch studiert, wie tief man auch mit den Augen hineinkriecht in die Schichten: Lorenzen gibt die Lösung dieses "...lösungs"-Rätsels nicht preis.
Da sind wir schon fast wieder bei Lessing. Der fand ja auch die Suche nach Wahrheit viel erstrebenswerter als die Wahrheit selbst. In diesem Sinne könnte Jens Lorenzens Bild den konferierenden Redakteuren den Rat mitgeben: Sucht täglich neu nach Lösungen, aber seid nie allzu sicher, in ihrem Besitz zu sein!

(Die Bilder der "FAZ" und der "BILD" befinden sich im Portfolio)

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